Durchsuchung ohne Beschluss bei drohender Abschiebung rechtswidrig
Polizeibeamte brauchen einen richterlichen Beschluss, um die Wohnungen von ausreisepflichtigen Ausländern betreten zu dürfen. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jetzt im Fall eines Geflüchteten aus Guinea entschieden. Sobald Sicherheitskräfte in eine fremde Bleibe eindringen, um Abschiebungen durchzuführen, gilt das juristisch gesehen als Durchsuchung. Warum die neue Auslegung des Begriffs die Rechte von Migranten stärkt, erklären wir Ihnen in diesem Beitrag.
Polizei führt Durchsuchung ohne Beschluss durch
Die Wohnung ist innerhalb der deutschen Rechtsordnung besonders geschützt. Aus diesem Grund muss jeder Polizeieinsatz, der im privaten Wohnraum stattfindet, vorher durch einen Richter genehmigt werden. Das gilt auch für Abschiebemaßnahmen in Gemeinschaftsunterkünften, entschied das BVerfG in einem jetzt veröffentlichten Beschluss.
Der Entscheidung lag der Fall eines Geflüchteten aus Guinea zugrunde, der 2018 nach Deutschland kam. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit der Begründung ab, dass Italien als Aufnahmestaat nach der Dublin-Verordnung für ihn zuständig war. Gleichzeitig ordnete das BAMF seine Abschiebung an.
Weil der Mann seitdem weder in seiner Unterkunft anzutreffen war, noch einen Termin bei der Ausländerbehörde wahrnahm, schaltete das Berliner Landesamt für Einwanderung die Polizei ein. Am 10. September 2019 stürmten die Vollzugsbeamten schließlich das Zimmer des Guineers, ohne vorher einen richterlichen Beschluss einzuholen. Das BVerfG musste nun klären, ob dieses Vorgehen rechtmäßig war.
Die Dublin-Verordnung ist eine Regelung innerhalb der Europäischen Union, die festlegt, welches Land für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Meist ist das der Staat, in den der Schutzsuchende zuerst eingereist ist.
Betreten oder Durchsuchung?
Im Kern ging es um die Frage, ob der oben beschriebene Polizeieinsatz eine Durchsuchung war oder nicht. Ausländerbehörde und Polizei sagen Nein. Ihrer Auffassung nach müsse in solchen Fällen zwischen:
- Durchsuchen und
- Betreten
unterschieden werden. Eine Durchsuchung liege erst bei konkreten Suchhandlungen wie dem Öffnen von Schränken oder dem Sichten von Dokumenten vor. Da sich die Beamten aber nur Zutritt zum Zimmer des Mannes verschafft hätten, sei ein richterlicher Beschluss nicht erforderlich gewesen.
Versuchte Ingewahrsamnahme ist Durchsuchung
Diese Argumentation überzeugt das BVerfG nicht. Eine Durchsuchung im rechtlichen Sinne knüpfe gerade nicht an bestimmte Handlungen an und sei daher weiter zu verstehen, heißt es aus Karlsruhe.
Maßgeblich sei der Kenntnisstand der Behörden: Sobald die Einsatzkräfte eine Wohnung betreten, weil sie herausfinden wollen, ob sich die gesuchte Person dort aufhält, liege eine Durchsuchung vor. Oder anders gesagt: Wenn die Behörden nicht wissen, wo sich ein Ausreisepflichtiger aufhält, benötigen sie einen Durchsuchungsbeschluss.
Ausnahmsweise darf die Polizei auf eine richterliche Anordnung verzichten, wenn Gefahr in Verzug vorliegt; also besonders große Eile geboten ist. Bei geplanten Abschiebungen ist das eher selten der Fall, da die Behörden ausreichend Vorbereitungszeit haben, um einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen.
Durchsuchung der Wohnung ohne Beschluss ist verfassungswidrig
Für das BVerfG stand daher fest, dass der Polizeieinsatz im Ausgangsfall so nicht hätte stattfinden dürfen. Die Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss habe den Guineer klar in seinen Grundrechten verletzt. Mit diesen Worten rügen die Karlsruher Richter nicht nur die momentane Abschiebepraxis der Behörden, sondern fordern auch Besserung: In Zukunft brauchen Beamte immer einen Durchsuchungsbeschluss, wenn sie ausreisepflichtige Personen aus ihren Unterkünften oder Wohnungen abschieben wollen.
Für Betroffene gilt: Sie sind nicht dazu verpflichtet, Ihre Wohnungstür zu öffnen, solange die Einsatzkräfte Ihnen keine richterliche Anordnung vorlegen können. Werden Sie dennoch Opfer einer ungerechtfertigten Durchsuchung, können und sollten Sie sich gerichtlich wehren. Auch ohne einen deutschen Pass gelten für Sie Grundrechte, die die Polizei und die Ausländerbehörde zu beachten haben.
Quellen:
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